Tschüss, Oma!
Das sind die wohl schwierigsten, persönlichsten und emotionalsten Worte, die ich je für meinen Blog geschrieben habe. Hierbei habe ich vor allem lange überlegt, ob ich sie überhaupt schreiben und veröffentlichen soll. Offensichtlich habe ich mich für ein Ja entschieden, denn zwischen all die Glamour und Spaß bereitenden Dinge im Leben, drängen sich eben auch die traurigen, unschönen Momente, die es in einem so persönlichen Blog nicht zu verschweigen gilt. Vergangene Woche ist meine Oma verstorben und mit ihr ein großes Stück meiner Kindheit. Diese Woche war die Beerdigung und mit ihr einer der unheimlichsten Momente in meinem Leben. Wenn der Tod an die Tür klopft, dann fühlt man einmal mehr das Leben. Wenn der Tod dann wieder geht, im Schlepptau das Leben, dann bleibt einem nichts anderes übrig als sich zu verabschieden und für immer Tschüss zu sagen. Tschüss, Oma.
Ich habe einmal gelesen, dass ein Sterbender mit seinem letzten Atemzug so hellwach und bewusst ist wie nie zuvor. Die Wissenschaft erklärt sich das damit, dass das Gehirn ein letztes Mal seine Reserven an Adrenalin, Dopamin und Serotonin ausschüttet, ein letzter Moment des Glücks quasi, bevor das Leben den Körper für immer verlässt. Ähnlich muss es bei uns Lebenden sein, wenn wir vom Tod des geliebten Menschen erfahren, denn bevor wir in eine Trauer verfallen, blitzen für Sekunden die schönsten Bilder durch den Kopf, bevor sie im Gehirn für immer mit der Markierung des Todes abgespeichert werden.
Gerne schaue ich auf die zahlreichen Erinnerungen mit meiner Oma zurück. Mich überkommt ein kalter Schauder, wenn ich daran denke, dass ich keine neuen mehr mit ihr erschaffen kann. Umso wertvoller wirken dagegen die bereits gemachten. Wie Trophäen stehen sie geputzt hinter einer verschlossenen Glasscheibe, wo ich sie für immer anschauen, nicht aber neue dazustellen kann. Ist es nicht seltsam, wie besonders das Leben erst durch den Tod erscheint? Es ist wunderschön und grausam zugleich. Wir Menschen brauchen ein ganzes Leben und sogar den Tod, um uns der Schönheit des Lebens bewusst zu werden.
Von Schönheit war das Leben meiner Oma ganz sicher bestimmt. Sie mochte Blumen und Musik, fuhr mit uns deshalb oft zu Osterbrunnen und sang in einem Chor. Sie mochte Kinder und sammelte Spielpuppen, erzählte gerne Geschichten und las noch lieber Romane. Dabei war ihr Leben ein ganz eigener Roman. 1934 als einzige Tochter von fünf Kindern geboren, erlebte sie nicht nur den zweiten Weltkrieg, sondern auch viele Höhen und Tiefen der Gesellschaft allgemein mit. Der Lauf der Geschichte ihres Lebens brachte meiner Oma selbst drei Söhne und letztendlich auch mich auf diese Welt. Der Lauf der Geschichte ihres Lebens machte sie zu einer sich aufopfernden, vor Liebe nur so strahlenden, tapferen Frau, die allen Romanfiguren vor allem eines voraushatte: sie war echt. Wenn mir meine Oma etwas gelehrt hat, dann ist es die Liebe, die Aufopferung und die Menschlichkeit gegenüber anderen Menschen. Eine Heldin für mich und eine Heldin ihres eigenen Lebens, auf das sie so stolz sein kann wie ich es auf sie bin.
Einen der letzten Momente, den ich mit meiner Oma verbracht hatte, habe ich gestochen scharf vor meinem geistigen Auge. Es war vergangenen Oktober. Wir sitzen auf ihrer Couch, trinken Kaffee, plaudern über Altes und Neues, nichtsahnend, welche Pläne das Leben in 2019 für sie bereithält. Wir sitzen auf der Couch und Leben und Lachen nur für diesen Augenblick, im Hier und Jetzt. Den Moment genießen, das konnte meine Oma immer gut. Jetzt sitzt neben meiner Oma der Tod, trinkt Kaffee, plaudert mit ihr über Altes und Neues und bekommt Geschichten über das Leben erzählt, bei denen selbst er nur Staunen kann. Und während sich meine Oma und der Tod ganz heiter unterhalten, fällt es mir ganz plötzlich ein: wir dürfen dem Tod nicht wütend oder hasserfüllt gegenübertreten. Ganz im Gegenteil. Wir sollten dem Tod auf seltsame Art und Weise sogar dankbar sein, denn erst durch ihn nehmen wir das Leben als solches wahr.
Das Leben ist der Tod gleich selbst.
,,Und immer sind da Spuren Deines Lebens, Bilder, Augenblicke und Gefühle, die uns an Dich erinnern und im Glauben lassen, dass Du bei uns bist.“ – Elisabeth
Tschüss, Oma!
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