
Matthew’s Diary: Mein CSD Dresden 2025 Wochenende
Gerade noch Sonne in Miami – jetzt wieder in Sachsen, zwischen Regenbogenflaggen und Demos. Kaum gelandet, ging es direkt zum CSD Dresden 2025. Es ist jedes Jahr aufs Neue etwas Besonderes, die eigene Heimatstadt in all ihrer Vielfalt, Lautstärke und Farbenpracht zu erleben. Und weil ich wusste, dass das Wochenende wieder alles andere als gewöhnlich wird, habe ich angefangen, kleine Notizen in einem Tagebuch zu machen. Beobachtungen, Gedanken, Outfits, Momente, die man nicht posten, aber sehr wohl festhalten möchte. Dieses Tagebuch möchte ich nun teilen – nicht auf Papier, sondern in Blogform.
Fotos: Felix B., Mister Matthew
Text: Mister Matthew
Freitag, der 30. Mai: Ein CSD im Homeoffice
Der CSD Dresden 2025 begann – und ich saß vorm Laptop. Nicht aus Faulheit, sondern aus beruflicher Verpflichtung. Während die ersten Acts auf der Bühne standen, tippte ich noch die letzten E-Mails und schaute den CSD Dresden Livestream. Multitasking, wie es nur in dieser Mischung aus Alltag und Happening funktioniert.
Das Bühnenprogramm am Altmarkt wurde digital übertragen, und so war ich zumindest virtuell dabei. Es war dennoch wieder schön zu sehen, wie viel Herzblut und Engagement hinter dem Programm steckt. Die Liveschalte ließ spüren, dass Dresden wieder einmal zeigt, wie laut, klar und sichtbar queere Stimmen sein können. Mein Highlight vom Programm: Drävolution. Ein „Drag House based in Dresden“, wie sie sich selbst bezeichnen, mit sehr durchdachten, künstlerischen und politischen Shows.


Später am Abend habe ich mir dann noch eine etwas andere CSD-Erfahrung gegönnt: Das Goldene Sofa – eine Produktion des Axel Springer Verlags, moderiert von Julian F. M. Stöckel. Inhaltlich überraschend interessant, charmant präsentiert und mit der nötigen Portion Selbstironie.
Dennoch blieb im Gruppenchat mit meinen Freunden die kritische Grundhaltung nicht aus. Axel Springer und queerer Aktivismus – das wirkt auf den ersten Blick wie Glitzer auf Beton. Auch wir waren, vorsichtig formuliert, skeptisch.
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Trotzdem: Gerade in Zeiten, in denen queere Rechte wieder verstärkt unter Beschuss geraten, möchte ich lieber zu viele Türen offen halten als zu viele verschließen. Wer bereit ist, zuzuhören, zu lernen und zu unterstützen, sollte zumindest nicht direkt ausgeladen werden. Der CSD Dresden 2025 lebt von Sichtbarkeit, aber auch von Gesprächsbereitschaft – selbst dann, wenn es unbequem wird.
So endete mein Freitag mit einem Gefühl zwischen politischem Anspruch, Medienkritik und einer Tasse Tee auf dem Sofa. Immerhin: Tag eins auf meine ganz eigene, etwas zurückhaltende Art.

Samstag, der 31. Mai: Tagsüber auf dem CSD Dresden 2025, zwischen Protein & Parade
Der Samstag begann mit sehr viel Ei. Der Körper ist schließlich ein Tempel, und wenn man ihn nicht mit Ozempic füttern möchte, dann eben mit Frühstücksei. Heroin-Chic war gestern, heute regiert der Protein-Chic, wie meine geliebte Vogue jüngst den Wahn nach Protein beschreibt.
Aber ich verstehe es. Es ist gesund und lecker.


Zwischen Ei und Koffein habe ich noch ein paar Seiten in „Against All Enemies“ von Richard A. Clarke gelesen – ein Buch über nationale Sicherheit, Terrorabwehr und die Schattenseiten politischer Systeme. Es hätte kaum kontrastreicher sein können zum bevorstehenden Programm: Fahrrad, Sonnenbrille und CSD Dresden 2025. Wobei: So weit entfernt voneinander liegen die Themen am Ende doch nicht. Sichtbarkeit ist eben auch eine Frage von Sicherheit – und Freiheit erst recht.
Mit dem Rad ging’s zuerst zu einem Freund, dann gemeinsam weiter zur Demo. Dresden zeigte sich von seiner queeren Seite – und das im besten Licht. Oder besser gesagt: im besten Sonnenschein. Es war viel zu heiß.

Getragen habe ich ein schlichtes weißes T-Shirt mit roter AIDS-Schleife, schwarze Shorts von SANVT (mein Langzeit-Kooperationspartner und Partner-in-Crime), eine Basecap gegen den Sonnenstich, Sonnenbrille gegen das grelle Licht und bequeme Sneaker – die Route zieht sich. Dazu: ein Fächer (Gamechanger!) und eine Flasche Wasser (lebensrettend). Weniger Statement, mehr Strategie. Trotzdem: alles mit Stil. Wer sagt, dass sich politische Präsenz und körperliches Wohlbefinden ausschließen?


Vor Ort: viele Freunde, alte Bekannte, neue Gesichter. Viel Umarmung, viel Schweiß, wenig Schatten. Der CSD Dresden 2025 war laut, bunt und politisch – eine gelungene Mischung aus Tanzfläche und Forderungen. Mein persönliches Highlight: ein Schild mit der Aufschrift „All the things we could fear in this world and we pick love“. Einfach. Wahr. Und genau der Grund, warum wir jedes Jahr wieder auf die Straße gehen. Weil einige Menschen queere Liebe hassen.



Nach einigen Stunden auf der Straße – und in der Sonne – habe ich mich wieder aufs Fahrrad geschwungen. Zuhause wartete eine kalte Dusche und später der Abend.

Am Abend: Der schwule Ritter vom CSD Dresden 2025
Am Abend verwandelte ich mich. Aus dem Demonstrierenden wurde eine kleine Partymaus. Mein Look: ein schwarzer Smoking, dazu ein glitzernder Kopfschmuck. Am Ende erinnerte das Ganze an einen schwulen Ritter in Feierlaune. Ganz passend, wenn man das Gefühl hat, in diesen Zeiten wieder mehr denn je um seine Rechte kämpfen zu müssen.


Später traf ich mich mit Freunden, um mit ein paar Flaschen Sekt den Tag ausklingen und gleichzeitig den Abend einläuten zu lassen.
Dann ging’s weiter: zur Gaylaktika in den Sektor Evolution. Ein fester Fixpunkt zum CSD Dresden – irgendwo zwischen Rave und queerer Raumstation. Für mich ganz persönlich das beste Partyangebot zum CSD in Dresden, mit einer sehr feinen, künstlerischen Stringenz, aber dennoch jährlich 180 Grad Abwechslung, wie ich es bei den meisten Partys eher vermisse.
Drinnen traf melodischer Techno auf schillernde Menschen. Ein Highlight des Abends war der Künstler WavyLady, der ein Live-Set mit seinen eigenen Songs performte. Eine krasse Präsenz, eine Stimme, die alles mitnimmt. Eine Stimme, die wir mit Sicherheit in einigen Jahren noch öffentlicher hören werden.


Ansonsten bestand die Nacht aus viel zu viel Vodka-Mate-Mischung und meinem heimlichen Arbeitsauftrag, einem Freund eine Knutscherei für die Nacht zu suchen. Nicht nur schwuler Ritter, sondern auch schwuler Armor. Hat geklappt. Und da sich mein Outfit nicht um Mitternacht, sondern erst früh um 7 Uhr wieder zurück in einen Kürbis verwandelt hat, war der Verlauf des Sonntags bereits vorprogrammiert.
Sonntag, der 1. Juni: Hangover zwischen Brokeback Mountain und Boulevard
Der Sonntag begann – wie so viele Sonntage nach großen Nächten – mit Katerstimmung. Kopf schwer, das Herz ein bisschen weich gekocht. Ich scrolle durch Videos vom CSD Dresden 2025, habe eine Hand voll Artikel der örtlichen Presse gelesen und klickte mich durch Storys auf Instagram. Viele schöne Momente, aber eben auch Gegendemonstrationen, rechte Parolen, Hass auf offener Straße. Es ist jedes Jahr das Gleiche – und jedes Jahr trifft es doch wieder neu.
„Stell dir vor, in deiner Stadt wird die Liebe gefeiert – und du gehst nicht hin.“ Dieser Satz geht mir nicht aus dem Kopf. Warum gehen Menschen GEGEN die Liebe auf die Straße? Ich werde es nie verstehen.

Der CSD ist kein Selbstläufer. Er ist notwendig. Weil es eben nicht nur um Glitzer, Musik und Regenbogenfahnen geht – sondern um Sichtbarkeit, um Schutz, um Rechte. Vor allem um Letzteres, wenn man sieht, was aktuell in den USA vor sich geht. So sehr ich meine Staaten liebe, so viel Unfug passiert dort gerade in Bezug auf die Rechte von queeren Menschen. Es ist ein Fiebertraum.
Der CSD ist wichtig, damit wir uns diese Rechte nicht nehmen lassen. Nicht von denen, die hassen. Und auch nicht von denen, die schweigen.
Irgendwann bestellte ich mir eine Pizza, warf mich in die Sofadecke und schaute den Film Brokeback Mountain. Absolutes Klischee, klar. Jake Gyllenhaal schaut traurig in die Weite, ich schau traurig auf meinen Pizzarand. Aber vielleicht ist das genau das richtige Ende für dieses Wochenende: ein Film, der zeigt, wie schwer Liebe sein kann – und wie schön, wenn man sie trotzdem lebt.
Das Leben ist nicht immer einfach. Aber unter dem Regenbogen bleibt es lebenswert.
