Verliebt, Verlobt, Verheiratet
verliebt, verlobt, verheiratet?
,,Wann wollt ihr eigentlich heiraten?”, fragt sie mich total energisch. ,,Wir? Ich? Niemals.”, entgegne ich und kassiere dafür nur ein überraschtes Gesicht. ,,Aber jetzt könnt ihr es ja!? Endlich könnt ihr es!”, prellt sie mir an den Kopf, als wäre das ein Termin, den wir, ich, einhalten müssten. Die Rede ist von meiner 7-jährigen Beziehung und der vor Kurzem eingeführten Homo-Ehe.
,,Wann wollt ihr eigentlich heiraten?”, ist ein Satz, der mir die letzten 12 Monate bestimmt an die 10 Mal gestellt wurde. Und was soll ich sagen? Ich fühle mich irgendwie komisch dabei und kann zum ersten Mal verstehen, wie sich eine Frau fühlen muss, wenn die Gesellschaft sie mit Ehe und Kindern unter Druck setzten will.
,,Haben sie schon Kinder?”, fragt eine fast schon fremde Frau eine meiner besten Freundinnen. ,,Nein”, entgegnet sie. ,,Warum denn nicht?”, bohrt sie weiter nach. ,,Weil es bisher einfach nicht gepasst hat.”, knurrt meine Freundin zurück. ,,Ja, aber sie …”, will die fast schon fremde Frau weiter ausführen, als meine Freundin im Kopf blockiert und einfach nur schreien will: ,,Vielleicht erstmal fragen ob ich überhaupt Kinder bekommen kann!!!”.
Meine Freundin erzählte mir von dieser Situation und ich hätte explodieren können vor Frust. Während ich über die 10 Male schon klage, wie sehr mich die Frage nach der möglichen Ehe zu meinem Freund nervt, müssen sich die Frauen dieser Welt schon seit Jahren, ganze Leben lang, solche Fragen anhören. Und dafür habe ich großen Respekt, während ich verabscheuend auf die Fragensteller blicke.
Als Frau kassiert man verstohlene Blicke, wenn man weder den Bund der Ehe eingehen, noch (eigene) Kinder haben möchte. Und nun schwappt dieses Phänomen der Entgeisterung auch auf uns Schwule über, denn ,,jetzt können wir es ja”.
,,Jetzt könnt ihr es ja”
,,Jetzt könnt ihr es ja”, ist eine mehr als engstirnige Aussage, weil sie zeigt, wie konzentriert diese Person auf Verbote und Erlaubnisse der Gesellschaft reagiert. Ich kann auch für immer ein Single bleiben, wenn ich das möchte. Kann mit drei Männern gleichzeitig schlafen – und sogar eine Dreier-Beziehung führen. Ich kann heute die küssen und morgen den. Kann nach London ziehen und meine Karriere heiraten. Ich kann alles und muss nichts. Aber deine Gedanken scheinen mir etwas aufdrücken zu wollen, was einst die Gesellschaft bei dir tat.
Ich verstehe einfach nicht, warum das Konstrukt der Ehe so hochgehalten wird. Weder bei heterosexuell noch bei homosexuell (und alles dazwischen) liebenden Menschen. Aber am wenigsten verstehe ich diesen Druck gegenüber den Homo’s. Was war die Homo-Ehe scharf in der Kritik. Nun ist sie ,,endlich” da und plötzlich sollen wir Schwulen für etwas eine totale Begeisterung, eine totale Euphorie aufbringen, was uns seit Anbeginn der Menschheit verwehrt geblieben ist? Nein, danke!
Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir Schwulen notgedrungen eine komplett andere Sicht auf die Ehe haben, weil sie bis vor Kurzem nie eine Option für uns dargestellt hat. Warum? Weil es für uns nicht möglich war. Wir haben uns auch ohne Hochzeitstorte, Walzer und weiße Tauben geliebt, sind uns auch ohne Steuervorteil fremdgegangen, haben auch ohne Eheringe anderen auf den Arsch geguckt. Wir lebten auch ohne Gelübde glücklich bis ans Ende unserer Tage, hatten auch Scheidungen ohne Scheidungen.
,,Ich kann alles und muss nichts. Aber deine Gedanken scheinen mir etwas aufdrücken zu wollen, was einst die Gesellschaft bei dir tat."
Verliebt, verlobt, verheiratet?
Davon hatten wir nur verliebt – und das hat uns vollkommen gereicht. Wir hätten uns bestimmt verlobt, hätten bestimmt auch geheiratet. Doch das durften wir ja nicht. Und jetzt? Jetzt will ICH es zumindest nicht mehr. Wie ein bockiges Kind, was erst wollte, nicht durfte, jetzt kann, aber gar nicht mehr will.
,,Jetzt könnt ihr es ja”, und genau da liegt das Problem. Die Gesellschaft wartet auf die Verbote und Erlaubnisse von sich selbst, der Gesellschaft. Daran wird sich orientiert, daran wird gehalten. Das macht vielleicht Sinn in der Wissenschaft, in der Straßenverkehrsordnung und dem Handeln über Zollgrenzen hinweg. Es macht aber keinen Sinn bei der Liebe. Das hat es weder im Gestern, noch tut es das im Heute.
Es sind genau diese Grenzen, welche das Leben vieler Menschen so erschweren. Da sind die Grenzen in der Liebe noch das kleinste Problem. Menschen haben schon immer Grenzen gebaut. Doch keine wirken so lange nach wie die Grenzen im Kopf. Denn während für andere, ehemalige Grenzen, Denkmäler der Erinnerung gebaut werden, um damit unter anderem zu zeigen ,,so darf es nie wieder sein”, werden bei den Grenzen im Kopf die Mauern von Generation zu Generation, unter dem Deckmantel der Tradition, weitergegeben.
,,Wann willst du endlich heiraten?”, fragst du mich.
,,Wann willst du endlich einen Dreier?”, frage ich dich zurück.
,,Menschen haben schon immer Grenzen gebaut. Doch keine wirken so lange nach wie die Grenzen im Kopf."
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“Die Gesellschaft wartet auf die Verbote und Erlaubnisse von sich selbst, der Gesellschaft.” – guter Satz 🙂 Im privaten Umfeld stört das gar keinen, weil anderes wichtiger ist. Im beruflichen Umfeld ist das etwas anders – ich kenne viele, die verheiratet sind, aber für mich ist das keine Option. Das wird auch akzeptiert. Und falls doch jemand fragt, erkläre ich gern, dass ICH das nicht möchte. Bei älteren Leuten würde ich vlt. nach einer Ausrede suchen, weil sie sich nur Sorgen machen und es nicht meine Aufgabe ist, ihnen klarzumachen, wie un-zeitgemäß die Ehe ist.
Aber ich verstehe dein Problem – dass manche Leute übersehen, dass es bei der “Ehe für Alle” weniger um die tatsächliche Ehe als um ein Zeichen ging, dass sie politisch akzeptiert wird.
Autor
Hallo Evy,
vielen Dank für deinen Kommentar und die Gedanken dazu. Freut mich, dass dir der Satz so gut gefällt. Geht mir nämlich auch so! Weil es halt soooo wahr ist – leider! Die Gesellschaft formt sich selbst, eben auch mit ihren Problemen, die meist durch (sinnlose, sexuelle, Geschlechter-trennende, diskriminierende usw.) Verbote und Erlaubnisse ausgehen.
Hab ein schönes Wochenende,
modische Grüße,
Mister Matthew
Matthias Limmer
Ich habe mich zu wenig mit der Thematik “gesellschaftliche Regeln” befasst, um das differenziert sagen zu können, aber ich denke, dass sie nicht sinn-los sind. Sie sorgen, besonders in Zeiten der Unsicherheit, für Stabilität, indem sie ein Menschen ausgrenzen und damit andere zusammenschweißen. Der Preis dafür ist aber sehr hoch. Und … auf den Charakter kommt es an.